Deutschland

Gestern bin ich aus Ghana zurückgekommen. Was macht man so, wenn man zum ersten Mal seit 11 Monaten wieder so richtig in Deutschland „ankommt“, ohne im Hinterkopf zu haben, dass man das Land ja sowieso bald wieder verlässt? In den Zug steigen, Laugenbaguette mit Salami essen. Kraftwerk anmachen. Nachdenken. Man verspürt einen gewissen Drang, eine harmonische Beziehung zu seiner Umgebung aufzubauen. Also für mich speziell, eine harmonische Beziehung zu Deutschland aufbauen.

Warum ich Deutschland bisher nicht mochte

Um ganz ehrlich zu sein, ich mochte Deutschland noch nie so richtig leiden. Die „Seele“ Deutschlands war nach dem 2. Weltkrieg zerbrochen. Die Mentalität der Deutschen ist aus meiner Sicht seit dem vor Allem von Bitterkeit geprägt, und der Frage, wie man sich als Volk eine neue Identität geben kann. Bedingt durch die unterschiedliche wirtschaftspolitische Entwicklung sind dabei in Ost- und Westdeutschland verschiedene mehr oder weniger ausstehliche Ideen entstanden.

Vor allem Westdeutsche aus der Nachkriegsgeneration, haben das s.g. „Wirtschaftswunder“ der 1950er bis 1970er Jahre hautnah miterlebt. Sie sind in einem Deutschland aufgewachsen, das von Wohlstand und einem kriegsbedingten Vakuum nationaler Identität geprägt war. Für viele dieser Menschen entwickelte sich damit eine neue nationale Identität, die sowohl den übermäßigen Wohlstand, als auch eine neue, viel subtilere Form von Nationalismus legitimierte: Die Idee eines Volkes mit weit überlegener Arbeitsmoral. Die damit verbundenen Werte -Produktivität, Präzision und Ernsthaftigkeit- sind sicherlich konstruktiv und sympathisch in dem Sinn, dass sie teilweise eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sind. Viele Deutsche fühlen sich tatsächlich wohl, wenn sie sehr produktiv, sehr präzise und sehr ernsthaft sind. Mich eingeschlossen.

Schade bis gefährlich ist es nur, wenn mit der Erfüllung dieser Werte die Selbstkritik durch eine selbstgerechte, konservative Trägheit ersetzt wird. Das ist der Hauptgrund, warum ich mich bisher in Deutschland nicht wohlgefühlt habe. Das kriege ich jetzt besonders zu spüren, wenn ich bei meinen Erzahlungen über die wirtschaftlichen Probleme Ghanas bei so manchem Gesprächspartner sehen muss, wie er/sie sich ein herablassendes Lächeln im besten Fall noch verkneift.

Die „Quelle allen Übels“ ist hier wohl die Idee, dass das deutsche „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegsjahre und die sukzessive wirtschaftliche Dominanz Deutschlands in Europa und weltweit (Stichwort „Export-Weltmeister“) einer grundlegend überlegenen „Deutschen Arbeitsmoral“ entsprungen ist. Hier möchte ich eine Dokumentation empfehlen, die letztes Jahr vom ZDF veröffentlicht wurde: Die Ursprünge des „Mythos vom Wirtschaftswunder“ der BRD sind demnach weitaus weniger glanzvoll. Hier eine Kurzfassung:

  1. Überbleibsel von Ingenieuren, Nazi-Managern und Industrieanlagen aus dem 3. Reich waren ein Katalysator für die Industrie.
  2. Eine große Nachfrage nach Industriemaschinen in Folge des Korea-Kriegs beschleunigte den industriellen Aufbau
  3. Der Verzicht kriegsgeschädigter Nationen auf Reparationen (mit Ausnahme von Russland) erlaubte ungestört die fortgesetzte Nutzung eines großen Teiles der industriellen Anlagen.
  4. Und vor Allem: Allierte Propaganda. Diese hat dazu geführt, dass die Deutschen nun Ludwig Erhardt als den visionären Erschaffer der D-Mark und die Amerikaner als die „selbstlosen Gläubiger“ im Marshall-Plan verehren.

Was das für Implikationen in der Diskussion um die deutsche Schuld in der „Euro-Krise“ nach sich zieht, ist sicher auch eine wichtige Frage. Aber die wichtigste Frage für mich ist nun: Wie kann man eine Nation, die von so viel Selbstgerechtheit geprägt ist, mögen lernen? (Vor allem wenn man gerade aus einem Land kommt, dass im wirtschaftlichen Vergleich zu Deutschland definitiv auf der Verliererseite steht.)

Gedankensprung: Kraftwerk und Roman Flügel

Ich denke, die Tatsache dass die Elektro-Musik-Szene in Deutschland so stark geworden ist, hat sehr greifbare Gründe. Die Gründer dieser Szene in der neuen Bundesrepublik waren dazu fähig, die neuen Werte -Produktivität, Präzision und Ernsthaftigkeit- nicht blind als Füllmaterial für das Vakuum der nationalen Identität zu nutzen, sondern in eine vom Nationalismus entledigte, nüchterne Ästhetik als neue Form von Musik umzusetzen.

Die wohl berühmteste Gruppe in diesem Zusammenhang ist „Kraftwerk“. Die Band wurde ursprünglich 1970 gegründet unter dem Titel „Organisation zur Verwirklichung gemeinsamer Musikkonzepte“. Laut Wikipedia bezeichnete die New York Times Kraftwerk 1997 als die „Beatles der elektronischen Tanzmusik“. Titel wie „Autobahn“, „Die Roboter“, „Das Modell“, „Radioaktivität“ und „Computerwelt“ zeichnen ein fast utopisches, von Technokratie geprägtes Lebensbild des Nachkriegsdeutschlands, auch vor allem weil die Original-Texte -und Titel- eben deutsch sind.

Dies ist für mich die politische Dimension elektronischer Musik, im engeren Sinne. Ein wichtiger Katalysator für mich zur Erkenntnis der oben beschriebenen Assoziationen war die Facebook-Seite von Roman Flügel. Dieser postete zur Ankündigung seiner Gigs immer zusätzlich scheinbar zusammenhanglose Fotos aus Deutschland.